Dienstag, 19. Januar 2010

Engagementpolitik in der Zivilgesellschaft - ein (ge)wichtiges Buch

Thomas Olk, Ansgar Klein, Birger Hartnuß (Hrsg.): Engagementpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe. Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2010. 639 Seiten. ISBN 987-3-531-16232-4. D. 49,90 EUR.

(c) 2010 Armin König

Und sie bewegt sich doch – die Engagementpolitik des Bundes. Die Feststellung von Susanne Lang gehört zu den wichtigen Erkenntnissen eines gewichtigen Sammelbandes zur Engagementpolitik, den Thomas Olk, Ansgar Klein und Birger Hartnuß herausgegeben haben. Der Band ist nicht nur gewichtig und umfangreich, er beschreibt das neue Politikfeld auch umfassend und sehr kompetent. Dafür bürgen renommierte Autoren wie Jörg Bogumil, Lars Holtkamp, Josef Schmid, Michael Haus, Adalbert Evers, Heike Walk, Gerhard Igl, Arnd Bauerkämper, Karl-Werner Brand, Thomas Klie, Roland Roth, Thomas Rauschenbach und Gisela Jakob.

Engagementpolitik ist keineswegs griffig. Mittlerweile scheint der Begriff als „Allheilmittel“ gegen Globalisierung, Singularisierung, Individualsierung und gegen Politikverdrossenheit einsetzbar zu sein. Sogar Schutz gegen die Dominanz des Kapitalismus soll die Zivilgesellschaft bieten. Damit wird sie auch sehr diffus und ambivalent, auch in ihren Bezügen zu Gesellschaft und Staat.

Engagementpolitik signalisiert zunächst erhebliche Veränderungen in Politik und Gesellschaft, da neben Staat und Markt auch die Arrangements mit der Zivilgesellschaft eine wesentliche Rolle spielen. Dass dieser „Dritte Weg“ und seine Kooperationen zwischen öffentlicher Hand, Privaten und Bürgern überhaupt notwendig sind, hängt mit Defiziten der Gesellschaft und des Staates und einer Überforderung der klassischen Institutionen zusammen. Sie sind mittlerweile auf Zusammenarbeit mit Dritten und auf Mitarbeit angewiesen. Doch voraussetzungslos geschieht dies nicht.

Begonnen hat zivilgesellschaftliches Engagement des Bürgertums in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Preußischen Städteordnung 1808 und mit Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein. Mit der „Einbindung des aufstrebenden Bürgertums in den absolutistischen Staat“ (Aner / Hammerschmidt, 66) und der Gewährung kommunaler Selbstverwaltung begann die Ära des obrigkeitsfernen Bürger-Engagements – allerdings noch sehr zögerlich und unvollkommen. Der Dritte Sektor blieb immer von Staat und/oder Markt abhängig. „Die zweite wichtige (und zweitwichtigste) Handlungs- und Organisationsform zivilgesellschaftlichen Engagements“ waren Vereine, Bünde, Zirkel, Assoziationen. Diese traditionellen Formen zivilgesellschaftlichen Engagements haben sich bis heute gehalten.

Zu Beginn des 21. Jahrhundert – eigentlich schon mit dem Zusammenbruch des Kommunismus und dem Siegeszug eines extrem renditegeprägten und nur schwach sozial gebunden angelsächsischen Kapitalismus – geriet vor allem das wohlfahrtsstaatliche System des Westens massiv unter Kostendruck und Begründungszwang. Das hatte Folgen, und zwar zunächst in Großbritannien. Giddens’ dritter Weg bildete die Grundlage für einen eine neue Ausrichtung sozial-demokratischer Gesellschaftsstrukturen. Der Bürger sollte „aktiviert“ werden, sich als Träger der Gesellschaft aktiv sozial und gesellschaftlich zu engagieren. Von Großbritannien wurde dieser Trend nach Deutschland importiert. Unter Gerhard Schröders wurde der aktivierende Staat auch in der Bundesrepublik implementiert und ist mittlerweile Standard.

Die Parteien haben Engagementpolitik als programmatische Leitlinien entdeckt und implementiert. Am überzeugendsten sind die Grünen, nicht zuletzt wegen ihrer historischen Entwicklung. „Bündnis 90/Die Grünen haben wohl den sichtbarsten demokratiepolitischen Zugang zum Thema Bürgergesellschaft“, stellen Klein, Olk und Hartnuß mit Blick auf die Geschichte der grünen Bewegung treffend fest. Die Förderung der zivilen Gesellschaft bei gleichzeitiger Begrenzung des Staates im Sinne einer deliberativen, freiheitlichen Politik steht im Mittelpunkt dieser Bemühungen. Mehr als andere Parteien forcieren die Grünen die demokratiepolitischen Akzente bürgerschaftlichen Engagements. Teilhabe, ökologische Fairness und soziale Sicherheit sollen zu einem „neuen Gesellschaftsvertrag“ verbunden werden. Die SPD spricht von Solidarischer Bürgergesellschaft und demokratischem Staat, die CDU setzt auf eine Bürgergesellschaft, die persönliche Freiheit, soziale Verantwortung und Eigeninitiative im Sinne der katholischen Soziallehre und der Sozialen Marktwirtschaft verbindet und die Bürger ausdrücklich zu politischem und gesellschaftlichem Engagement in Verantwortung aufruft. Die CSU setzt aktive Bürgergesellschaft und starken Staat in eine gemeinsame Klammer. Bürgerrechte und Bürgerpflichten werden gleichermaßen angesprochen. Die Union als Ganzes setzt auf Ermutigung zur aktiven Bürgergesellschaft. Dagegen bleibt das Thema bei der FDP „randständig“ (38). Bei den Linken „dominiert die Skepsis gegenüber einem Engagement, das staatlicherseits zur Kostenersparnis instrumentalisiert wird und reguläre Arbeit verdrängt“ (39). Engagementpolitik ist also offensichtlich ein klassisches Volkspartei-Thema. Klientelparteien wie FDP und Linke könne damit wenig anfangen. Im Hinblick auf die FDP ist dies überraschend, da das (zumindest in Teilen liberal-konservative) Bürgertum und Liberalismus ihr soziales und ziviles Engagement in der Vergangenheit auch dafür nutzte, bürgerliche Normen, Ordnungs- und Wertvorstellungen gleichzeitig mit direkter Hilfe zu transportieren. In der Breite der Gesellschaft ist Engagementpolitik etabliert, das belegen auch die Zahlen des Freiwilligensurveys.

Engagementpolitik hat aber auch eine kritische, oppositionelle Seite, die zunehmend Bedeutung gewinnt.

Informationstechnische Revolution, Globalisierung, ein „militanter Neoliberalismus“, Prekarisierung bis in die Mittelschichten, Umweltkatastrophen und Klimawandel haben „ein erstaunlich breites Spektrum von Basisbewegungen, NGOs, Gewerkschaften und Kirchen, von kritischen Intellektuellen und Insider-Reformisten, von links-nationalistischen Regierungen und bäuerlichen Protestbewegungen“ (Karl-Werner Brand, 146) bis hin zu nationalistischen und antimodernistischen Bewegungen auf den Plan gerufen, um „das neoliberale Globalisierungsprojekt in unterschiedlicher Weise zu bändigen oder ganz zu Fall zu bringen.“ (146) So ergeben sich für Bürger ganz neue Möglichkeiten politischen Engagements. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob sie humanistisch, christlich-altruistisch oder von einer privaten „Mitleidskultur des Liberalismus“ (Werner Maaser, 155) geprägt sind und getragen werden oder einfach nur kapitalismuskritisch eingestellt sind.

Dass die neue Bedeutung der Engagementpolitik mit ihrer Einbindung privater Bürger auch zu Steuerungsproblemen führt, analysiert Michael Haus präzise. Er stellt fest, dass „traditionelle Steuerungsansätze zunehmend fragwürdig werden und die Kooperation zwischen Akteuren verschiedener Herkunft zur Generierung von kollektiver Handlungsfähigkeit erforderlich werden lässt“. (227) Die ist aber immer schwieriger herzustellen und mit hohen Risiken verbunden, weil durch neue Steuerungsformen nicht mehr nachvollziehbar ist, wer an welcher Stelle einen persönlichen Beitrag zum Erfolg oder Misserfolg von Projekten geleistet hat. Die Verschwommenheit politischer Verantwortlichkeiten in der Zivilgesellschaft führt zu kontraproduktiven Effekten. „Local Governance kann immer stärker als riskante Investition in kooperativ angelegte Projekte verstanden werden.“ (227) Dabei sollte sie doch neue Formen der Kooperation und der Legitimation ermöglichen. Haus warnt deshalb vor einer Überhöhung zivilgesellschaftlichen Engagements.

Jörg Bogumil, Lars Holtkamp, Josef Schmid (mit Christine Brickenstein) und Susanne Lang stellen die unterschiedlichen Ebenen der Engagementpolitik von der Kommune über die Länder bis zum Bund in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen zu Engagementpolitik im föderalen System der Bundesrepublik. Markus Held und Matthias Freise analysieren die europäische Ebene in vergleichenden Darstellungen.

Umfassend beschreiben werden unterschiedliche Felder der Engagementpolitik. Bildung (Birger Hartnuß/Frank W. Heuberger), Familienpolitik (Martina Heitkötter / Karin Jurczyk), Integration von Migranten (Dietrich Thränhardt), Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik (Dietmar Dathe / Eckhard Priller), Gesundheitswesen (Jürgen Matzat), Pflege (Thomas Klie) und Umwelt (Heike Walk) sind Politikfelder, die einige Brisanz bergen.
Im Schlusskapitel besichtigt Roland Roth, der für seine partizipationskritische Haltung bekannt ist, eine „Reformbaustelle“ : Engagementpolitik als Demokratiepolitik.

„Engagementpolitik“ ist trotz der Breite der Darstellung und der Vielzahl der Autoren ein Sammelband mit klarer Linie und durchweg hohem Qualitätsstandard. Das Buch hat die Substanz zum Lehrbuch-Klassiker und ist uneingeschränkt zu empfehlen.

siehe auch:

www.arminkoenig.de/blog

Politbuch:

Engagement in der Zivilgesellschaft
http://politbuch.wordpress.com/2010/01/19/engagement-in-der-zivilgesellschaft-als-neues-politikfeld/

Keine Kommentare: