Sonntag, 10. Januar 2010

Zivilgesellschaft als Ideengeber für Politik und Verwaltung

von Armin König

Politik wird nicht für Institutionen, Parteien oder Organisationen gemacht, nicht für Konzerne oder Gewerkschaften, auch nicht für Städte und Gemeinden, sondern für Bürger. Die Bürger sollen deshalb nicht nur mitreden, sondern auch mitgestalten und mitentscheiden. Dieses Ziel haben sich inzwischen auch die klassischen Akteure der repräsentativen Demokratie in ihr Programm aufgenommen. Partizipation ist etabliert, als Prinzip- und als Prozess. Die Möglichkeiten unmittelbarer Partizipation sind in allen Landes und Kommunalverfassungen ausgebaut worden. Dies ist ein Paradigmenwechsel in der deutschen Politik.
Aus dem Dualismus Politik und Verwaltung wird mehr und mehr ein Dreieck Bürger – Verwaltung – Politik, klassisches Regieren und Verwalten wird ergänzt durch umittelbare Demokratie jenseits des Staates. Hubert Heinelt (2008) nennt dies „partizipatives Regieren und Governance“. Governance ist ein Begriff der politikwissenschaftlichen Literatur, der sich seit etwa zehn Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut.
Es muss fair und gerecht zugehen, damit Menschen bereit sind, sich zu engagieren, um Teilhaber an den gemeinsamen Angelegenheiten zu werden. Diskursive Verfahren schaffen eine Vertrauensbasis zwischen den Akteuren. Voraussetzungen dafür sind ein Dialog auf Augenhöhe, die Bereitschaft zu Kompromissen, Gleichberechtigung der Geschlechter und die Akzeptanz von Regeln. So müssen die Bürger akzeptieren, dass es kommunalverfassungsrechtlich der Gemeinderat das letzte Wort bei Entscheidungen hat.
Die Beteiligten müssen umfassenden Zugang zu Informationen, Wissen und zumindest den Medien haben, die es ihnen erlauben, am Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess mitzuwirken. Partizipation dient der Kommunikation zwischen Bürgern, Politikern und Verwaltung, trägt zu Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung der Bürger ebenso bei wie zur Kontrolle und Verteilung von Herrschaft. Auch das Streben nach Identität und Identifikation spielt beim Prozess der Partizipation eine wichtige Rolle.
Dass dies nicht nur theoretische und normative Aussagen sind, wurde im Saarland modellhaft im Zukunftsprojekt „Illingen 2030“ erprobt. In einem umfangreichen Beteiligungsprozess mit über 700 Teilnehmern erwiesen sich Bürger als Ideengeber für Politik und Verwaltung. Die Partnerschaft zwischen Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung hat funktioniert, eine Reihe von Vorschlägen der sieben Workshops ist inzwischen in konkrete Politik und Investitionen umgesetzt worden. Aber Partizipation hat auch Grenzen.
Die Bürger wollen im Sinne Voltaires das eigene Gärtchen bestellen, aber mit Visionen und Missionen, mit ganzheitlichem Denken und vernetzten Konstellationen haben sie wenig am Hut. Das ist Aufgabe eines strategischen kommunalen Managements. Auch Kunstprojekte und Innovationen, die nicht dem Massengeschmack entsprechen, aber für Alleinstellungsmerkmale sorgen können, sind nicht leicht zu realisieren.
Dennoch lohnt sich Partizipation. Sie stärkt die Legitimation lokaler Politik und erhöht die Transparenz. Deshalb sollen an dieser Stelle einige Erfahrungen aus dem Illinger Projekt dargestellt werden, weil sie sich auch auf andere Kommunen übertragen lassen.
Bemerkenswert war die Fülle der Ideen, die die Bürger einbrachten. Dabei gab es von punktuellen Verbesserungen in den Ortsteilen bis zum Neubau eines Sport-Leistungszentrums alle Facetten kommunalpolitischer Anregungen. Sie betrafen Modernisierung von Anlagen, Kooperationen, Innovationen, Frage der Zugänglichkeit und Barrierefreiheit, der sozialen Verantwortung, der Grundversorgung, Umweltideen, Einsparvorschläge, Veranstaltungen, Marketing-Aktionen und vieles mehr.
Als positiv erwies sich, dass die Bürger durch transparente und umfangreiche Informationen mit den wichtigsten Erscheinungsformen des demographischen Wandels vertraut gemacht worden waren und dass sie Gelegenheit, sich bereits im häuslichen Umfeld oder im Verein mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Im klassischen Konsolidierungsbereich gab es allerdings kaum Vorschläge. So wurden weder Vorschläge zur Schließung von Einrichtungen noch Fusionsvorschläge gemacht. Auch Ideen zum Bürokratieabbau wurden nicht geäußert. Das Thema kam nur generell zur Sprache.
Mit Bürgerbeteiligung sind viele Hoffnungen verbunden. Sie verspricht idealerweise mehr Transparenz, eine stärkere Identifikationsbereitschaft der Bürger mit ihrem Gemeinwesen (Holtkamp 2006: 185), mehr Zustimmung für die Demokratie und ihre Organisationsformen sowie gegenseitige Anerkennung. Aber es gibt auch negative Stimmen.
Yannis Papadopoulos sieht die Gefahr, dass demokratisch legitimierte Politiker, die sich gegenüber den Bürgern rechtfertigen müssen und die auch abgewählt werden können, in Governance-Arrangements „in Konkurrenz mit anderen Akteuren [stehen], die nicht über diese demokratische Legitimation verfügen (Experten) oder sich lediglich auf sektor-spezifische Autorisierung (Vertreter von Interessengruppen) oder auf Delegation (höhere Verwaltungsbeamte) berufen können.“ (Papadopoulos 2004: 220).
Als problematisch gilt auch, dass oft „nicht alle soziale Gruppen im gleichen Maße“ (Holtkamp & Bogumil 2007: 240) erreicht würden. Bürgerforen und ähnliche Partizipationsformen für die Einwohner seien „eher ein Sprachrohr für bereits engagierte und durchsetzungsfähige Akteure“ (Holtkamp 2006: 199). Man solle „das Risiko ernst nehmen, dass Governance die Tendenz zu einer demokratischen Elitenherrschaft zusätzlich verschärfen“ werde (Papadopoulos 2004: 220). Und noch eines ist realistischerweise zu berücksichtigen: „die zu erwartenden Akteurswiderstände und die sich immer weiter verschärfende kommunale Haushaltskrise“ (Holtkamp & Bogumil 2007: 241). Gemünzt ist dies vor allem auf die politischen Partien und die Ratsfraktionen einerseits und die Einschränkungen durch die Kommunalaufsicht andererseits, die Verwaltungen und Räte binden.
Letztlich hängt der Erfolg der Partizipation davon ab, wie ernst Politik und Verwaltung die Bürgerbeteiligung nehmen und ob sie bereit sind, Macht mit denen zu teilen, die an Projekten mit Mitmach-Aktionen der Kommune teilnehmen.


Literatur

Alemann, Ulrich von (1999): Wie lassen sich die Möglichkeiten bürgerschaftlichen Engagements ausbauen? - oder: Mehr Partizipation ist machbar, Herr Nachbar. In: Bogumil, Jörg/ Vogel, Hans Josef (Hg.), Netzwerk: Kommunen der Zukunft. Eine Gemeinschaftsinitiative der Bertelsmann-Stiftung, der Hans-Böckler-Stiftung und der KGSt. Bürgerschaftliches Engagement in der kommunalen Praxis. Initiatoren, Erfolgsfaktoren und Instrumente.

Antz, Eva-Maria (2006): Bürgergesellschaft und Partizipation. Vortrag beim Workshop „Wie lässt sich das freiwillige Engagement für Nachhaltigkeit stärken?“ der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg v. 23.-25. Oktober 2006 in Potsdam. URL: http://www.forum-nachhaltige-regionen.net/download_de/Antz_23.10.06_de.pdf

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2004): Politische Partizipation in Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage. Bonn (= Bundeszentrale für politische Bildung; Schriftenreihe Bd. 471)

Bogumil, Jörg / Holtkamp, Lars / Schwarz, Gudrun (2003): Das Reformmodell Bürgerkommune. Leistungen - Grenzen – Perspektiven. Berlin: Edition Sigma.

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Frantz, Christiane / Zimmer, Annette (Hrsg.) (2002): Zivilgesellschaft international. Alte und neue Global Players. Leske + Budrich (Leverkusen) 2002.

Frauenholz, Dieter / Knieling, Jörg / Sinning, Heidi (2005): Kooperation als Zukunftsstrategie zur Gestaltung des demografischen Wandels. In: Schröter, Frank (Hrsg.): Die Zukunft der Kommunen in der Region. Mobilität – Versorgung - Kooperation. Dokumentation der gleichnamigen IfR Jahrestagung am 2. April 2004 in Hannover: RaumPlanung spezial 8. Dortmund. Informationskreis für Raumplanung (IfR) e.V.

Gemeinde Illingen (Hrsg.) (2006): Illingen 2030. Projekt Zukunft. Ideen und Leitlinien der Illinger Gemeindeentwicklung.

Heinelt, Hubert (2008): Demokratie jenseits des Staates : Partizipatives Regieren und Governance. Baden-Baden: Nomos.

Hill, Hermann (2000): Die Bürgerkommune im 21. Jahrhundert. In: Glück, Alois / Magel, Holger (Hrsg.): Neue Wege in der Kommunalpolitik – Durch eine neue Bürger- und Sozialkultur zur Aktiven Bürgergesellschaft. München, S. 11-22.

Holtkamp, Lars (2006): Partizipative Verwaltung – hohe Erwartungen, ernüchternde Ergebnisse. In: Politik und Verwaltung (Politische Vierteljahresschrift; Sonderheft 37), S. 185-207.

Holtkamp, Lars / Bogumil, Jörg (2007): Bürgerkommune und Local Governance. In: Schwalb, Lilian / Walk, Heike (Hrsg.)(2007): Local Governance – mehr Transparenz und Bürgernähe? Wiesbaden. S. 231-250.

Klein, Ansgar u.a. (Hrsg.): Zivilgesellschaft und Sozialkapital (Bürgergesellschaft und Demokratie Bd. 14), VS Verlag, Wiesbaden 2004.

König, Armin (2007a): Bürger machen Gemeinde zukunftsfähig. Das Modellprojekt „Illingen 2030“. In: Stadt und Gemeinde 5/2007. S. 186-187.

König, Armin (2007b): Bürger planen Zukunft im demografischen Wandel. Local Governance am Beispiel des Zukunftsprojekts Illingen 2030. Norderstedt: Selbstverlag (BoD).

König, Armin (2009a): Die Bürgergemeinde: Eigenverantwortung wecken, Bürgersinn fördern, Sozialkapital vermehren. http://www.arminkoenig.de/Publik/Buergergemeinde%20Saarlorlux.pdf

König, Armin (2009b): Was Bürger wollen - Zivilgesellschaft als Ideengeber für Politik und Verwaltung. http://www.arminkoenig.de/Publik/Was_Buerger_wollen.pdf

Papadopoulos, Yannis (2004): Governance und Demokratie. In: Benz, Arthur (Hrsg.): Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung. Wiesbaden. S. 215-237.

Vetter, Angelika (Hrsg.) (2008): Erfolgsbedingungen lokaler Bürgerbeteiligung. Wiesbaden: VS Verlag.

Zimmer, Annette (2002): Empirische Befunde zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Enquête-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 1: Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft. Leske + Budrich, Opladen, S. 89-100.

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