© Armin König 2009
Gerechte Beteiligung der Bürger an Entscheidungen, aktive, lebendige Demokratie, Freiheit durch politische Selbstorganisation, Bildung von Sozialkapital – das sind hohe Ansprüche an eine „Bürgergesellschaft“, die bei den Parteien zumindest als Schlagwort an Bedeutung gewonnen hat. Doch wie sieht es in der Realität mit dem „Projekt Bürgergesellschaft“ aus? Wird es ernst genommen? Oder steckt dahinter nur eine rhetorische Floskel? Ingo Bode, Adalbert Evers und Ansgar Klein haben unter dem Titel „Bürgergesellschaft als Projekt“ eine „Bestandsaufnahme zu Entwicklung und Förderung zivilgesellschaftlicher Potenziale in Deutschland“ vorgelegt. Das Thema ist vielschichtig. Es geht um Wirtschaft und Organisation der Bürgergesellschaft, Corporate Citizenship, um die Rolle der hauptamtlichen Mitarbeiter in NGOs, um Kooperationsnetze, die Erfolgsaussichten lokaler Governance-Arrangements und um Partizipation in umweltpolitischen Beteiligungsverfahren. Auch aus der Genderperspektive wird die Bürgergesellschaft untersucht – und das sehr kritisch.
„Noch immer liegen Welten zwischen Zukunftsvision und Alltagsrealität, zwischen konzeptionellen Entwürfen und sozialwissenschaftlicher Reflektion, zwischen der reformpolitischen Agenda und den Handlungsbedingungen der Initiativen und Organisationen vor Ort“. (Bode/Evers/Klein 2009: 7)
Der Befund der Wissenschaftler ist für die Politik wenig schmeichelhaft.
Allerdings haben mit Ausnahme der Linken alle Parteien die Forderung nach einer Aufwertung der Bürgergesellschaft in ihr Programm aufgenommen, wie Thomas Olk und Ansgar Klein referieren („Engagementpolitik – ein neues Politikfeld und seine Probleme“). Sie sehen „starke Indizien für die Herausbildung eines eigenständigen Politikfeldes ‚Engagementpolitik’ in Deutschland“ (30). Daran hat nach ihrer Auffassung die Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ wesentlichen Anteil. Ihre Einrichtung 1999 sei ein „Meilenstein bei der Herausbildung von Engagementpolitik als Handlungsfeld“ (Olk/Klein 2009: 25) gewesen. Die Bedeutung der Kommission lasse sich nicht auf de Abschlussbericht verkürzen: „Die Vernetzung engagementpolitischer Akteure aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und die direkten Auswirkungen der Anhörungen und Debatten auf die öffentliche Meinungsbildung sind mindestens genauso relevant“. (25)
Olk/Klein sehen bürgergesellschaftliches Engagement als Reformprojekt, das mit konventionellem Denken bricht und „einen weit reichenden Umbau der Institutionen in Staat und Gesellschaft erfordert“. (25) Diese Leitbild reiche „weit über das bisherige Verständnis einer Förderung des Ehrenamts hinaus“ (25).
Bürgergesellschaft als Projekt wird als anspruchsvolle Querschnittsaufgabe betrachtet: „Dabei wird bürgerschaftliches Engagement nicht auf das individuelle ‚Spenden von Zeit und Geld’ reduziert, sondern als ein Komplex von zivilgesellschaftlichen Orientierungen und Handlungsweisen identifiziert, der sowohl auf der Ebene der Individuen (Verantwortungsübernahme, Mit-Tun und Mit-Entscheiden, Einbringen von Zeit und Geld etc.) als auch auf der Ebene von Organisationen (Eingehen von Partnerschaften, systematischer Einbezug zivilgesellschaftlicher Handlungslogiken in Leitbilder, Öffnung von Organisationsstrukturen und Handlungsabläufen für zivilgesellschaftliche Beiträge etc.) und nicht zuletzt in anderen Formen des Regierens (beteiligungsoffene Formen des Aushandelns von Zielen statt hierarchischer Steuerung) zum Ausdruck kommen kann“. (25-26) Möglicherweise verbirgt sich dahinter viel Wunschdenken. Empirisch lässt sich dies bisher nicht in dieser Form und in diesem Umfang bestätigen
Annette Zimmer sieht aus wissenschaftlicher Sicht erhebliche Defizite. „Bürgerschaftliches Engagement führt als Begriff eine Nischenexistenz und ist, abgekoppelt von der internationalen Entwicklung, vorrangig ein Begriff der alltagspolitischen Debatte in Deutschland“ (81). Sie fordert den Abschied vom „Provinzpomeranztum“ (98), mehr Kommunikation untereinander sowie eine bessere internationale Anbindung. Das klingt nicht sehr freundlich.
Erfreulich kritisch wird die „Bürgergesellschaft als Bertelsmann-Projekt“ (265 ff.) von Rudolph Bauer thematisiert. So attackiert Bauer die elitäre Sicht der Bertelsmann Stiftung als paradox (265): „Eine Organisation der Zivilgesellschaft, deren Repräsentanten die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements auf ihre Fahnen geschrieben haben, unterläuft die genuinen Anliegen der Bürgergesellschaft im Interesse eine elitebürgerlichen Projekts“. (265)
Damit nicht genug: „Eine gemeinnützige Organisation nutzt ihren privilegierten Zugang zu den Medien, um eine unternehmerfreundliche Wirtschafts- und Steuerpolitik zu fordern mit dem Ziel, den Staat in seinen gesellschaftspolitischen Handlungsmöglichkeiten einzuschränken, was dann wiederum durch vermehrtes bürgerschaftliches Engagement ausgeglichen werden soll“. (265)
Bauer wirft Bertelsmann mehr oder weniger unverhüllt vor, unter dem Deckmantel einer nicht-staatlichen Nonprofit-Organisation privatwirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Die Stiftung fordere „weniger Staat“. Gleichzeitig bemühe sich ein Tochterunternehmen des Konzerns, an dem die Stiftung die Mehrheit besitze, „Dienstleistungsaufgaben der öffentlichen Verwaltung zu übernehmen und gewinnbringend in privatwirtschaftlicher Regie zu betreiben.“ (265) Dieses Vorgehen der Bertelsmann Stiftung berge die Gefahr, dass jene Anliegen konterkariert würden, „die normativ mit dem originären Konzept der Bürgergesellschaft verknüpft sind“. (265) Bauer nennt Namen wie Liz Mohn, Werner Weidenfeld, Gunter Thielen, Heribert Meffert und Dieter H. Vogel und sorgt damit im Sinne der Bürgergesellschaft für Transparenz im Hinblick auf Interessen, Motive, Ziele, Strategien und Verflechtungen. Es ist wichtig, dass Bürger dies wissen.
Bauer versteht seinen Beitrag nicht zuletzt als Aufforderung, so sein Fazit, „das Wirken der Bertelsmann Stiftung und der von ihr finanziell abhängigen Centren (CAP, CHE, CKM) ebenso wie die Rolle der Bertelsmann-Medien und der anderen Unternehmenszweige des Konzerns wissenschaftlich zu untersuchen und den Einfluss des komplexen „Systems Bertelsmann“ auf die zivilgesellschaftliche Entwicklung kritisch zu verfolgen.“ (Bauer 2009: 288)
Fazit:
Der Sammelband „Bürgergesellschaft als Projekt“ beleuchtet das aktuelle Thema zivilgesellschaftlichen Engagements kritisch-kontrovers aus unterschiedlichen Blickwinkeln und regt durch die interdisziplinäre Sicht zu weiteren Forschungsaktivitäten an. Die Bestandsaufnahme ist anregend und kann zum Katalysator für neue zivilgesellschaftliche Aktivitäten werden. Sie trägt aber auch dazu bei, allzu hohe Erwartungen an die Bürgergesellschaft zu dämpfen.
www.arminkoenig.de
http://politbuch.wordpress.com
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